Ein Amateur – Oh Bourdieu

Was ihn vom Profi trennt

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Am Frankfurter Flughafen, knapp vor dem Zaun gibt es einen Aussichtspunkt. Man erreicht ihn bequem von der Autobahn aus, es gibt einen schattigen Parkplatz und nach einem kurzen Fußweg findet man sich inmitten der Flugzeugbeobachter – engl. plane spotter. Sie stehen, sitzen und vorallem warten sie dort, die ein oder andere Aufnahme von etwas zu machen, das für sie eine Seltenheit, das Besondere darstellt. Gleichzeitig läuft ein Mann mittleren Alters mit jungen Frauen und Mädchen durch die Innenstadt Frankfurts. Die große Spiegelreflexkamera schwingt entweder lässig in der Hand oder wird auf andere Frauen in Cafés gehalten, oder auf Gläser mit bunten Getränkeresten, in denen sich das Licht bricht.

Zu später Stunde schleiche ich mich ins Dunkel, um die Architektur im Spiel mit der künstlichen Beleuchtung ganz in expressionistischer Tradition zu untersuchen. Und zwischen diesen Extrema sind eine Menge bezahlter Kamerabediener mit den verschiedensten Ausstattungen zu Werke gegangen. Eine weitere Gruppe kaufte vielleicht einen Fotoband, vielleicht den des Leica-Forums und schwärmt von der Authentizität der Fotografien. Wieder andere stellten die für sich wichtigste Frage in einem Fotografie-Forum, etwa welche Einstellungen für eine Lichter-Show zu wählen seien oder wie man mit den vorhandenen Mitteln Produktfotografie betreibt. Mancher bittet sogar um Rat, welche Ausrüstung für die anstehende USA-Reise zu erwerben sei. Vielleicht fürchtet er die Inkompatibilität des metrischen Systems und es sollte alles imperiale Skalen besitzen.

Pierre Bourdieu – ein französischer Soziologe unserer Tage – beschäftigte sich intensiv mit den Klassen der Gesellschaft. Das ist in Marx' Sinne zu verstehen und sein Werk über Die feinen Unterschiede ist eines der wenigen moderner Gesellschaftswissenschaft, dem ich etwas abgewinnen kann. Es hilft bei der Fragestellung nach der Unterscheidung in Profi und Amateur. Oft wird hier die Grenze am Lebensunterhalt festgemacht. Wer seine Familie mit Fotografie ernähren kann, der ist ein Professioneller, alle anderen sind Amateure. Über die Qualität der Arbeit(en) wird keine Aussage gemacht. Bourdieu findet solche einfachen Unterteilungen unzureichend. Stattdessen eröffnet er eine weitere Dimension und hat ein Feld aufgespannt. In der einen Richtung wird das Gesamtkapital – intellektuelles wie okönomisches – abgetragen und in der anderen das Verhältnis zwischen beiden.

In diesem Feld ist also Platz auf einer Achse für jene mit wenig Kapital, sowohl geistigem als auch geldwertem und eben das andere Ende. Dieses gliedert sich dann aber wieder feiner in jene mit überwiegend kulturellem und die andere Seite, die mit ökonomischem Kapital. Für Fotografen möchte ich dieses Schema kurz adaptieren: der eine investiert in eine Ausrüstung, weil er es kann (=es sich leisten kann). Ein zweiter hangelt von Gebrauchtkauf zu Gebrauchtkauf oder möbelt gar mal in Kleinarbeit eine mechanische Mittelformatkamera auf. Jenseits davon gibt es die unzähligen, anscheinend wertlosen (=ohne Kapitalbedarf) Kompaktkameras und Kamerahandys.

Welche Fotografien entspringen nun diesen Welten? Wer das nötige Kleingeld hat, der transportiert seine High-End-Ausrüstung nach Afrika, knippst einen Elefanten beim Trinken und gewinnt damit einen Fotowettbewerb zum Thema »Die 4 Elemente«. Wem dieses Kleingeld fehlt, der knippst eine Pfütze, in der sich ein Strommast spiegelt, scannt das Mittelformat-Foto (im örtlichen Drogeriemarkt zur Entwicklung abgegeben oder ganz analog mit Kaffee und Zitronensäure selbst gemacht) mit ordentlich Korn. Das wird dann auf den Kopf gestellt und ist allein schon wegen des Korns und der Vignette ein Kunstwerk (in einem elitären Kreis derjenigen, die diese oder jene Arbeitsweise zur höchsten Kunst/ der wahren und einzigen Fotografie erhoben haben). Schließlich knippsen Tanten und Onkels die Familienalben voll und so endet jeder Nachwuchs im Sonntagsanzug angelehnt an einen Baum in 9x13 in dem Teil des Schrankes, der erst nach der Volljährigkeit wieder herausgekramt wird. Junge Wilde dekorieren gar ihre abgestürzten Trinkbrüder und laden es direkt ins Netz der Netze.

Schließlich muss ich zur Technik noch David Pogue anführen, der bereits 2006 den Megapixel-Wahnsinn untersuchte und 2007 in einem Folgeartikel kommentierte. ([1], [2]) Etwas Wesentliches geht dem Amateur nämlich abhanden: die Vision für die Aufnahme. Dazu gehört auch das Medium, mit dem man die Bildpunkte präsentieren möchte. Am Monitor genügt eine Auflösung von 1200 Bildpunkten in der Horizontalen. Oftmals liefert man noch einen Rahmen, etwas Menü und Zusatzinformationen zum Bild und das Anzeigeprogramm hat noch Fenstdekoration. Außer Dauerkunden auf pixel-peeper schaut sich niemand 3 Megapixel in voller Größe an. Meist genügt das Vorschaubild mit ernüchternden 100 Pixeln und selten wird dann die Vollansicht mit 800-1000 Pixel geklickt. Selten bezieht sich dabei auf die schiere Masse an Bildern. Allein auf Flickr werden minütlich 4.000 Bilder hochgeladen. Wollte man sich für jedes 15min Zeit zur Bewertung lassen, bräuchte man allein für die erste Minute des Tages mehr als einen Monat ununterbrochener Redaktionsarbeit.

Jetzt fühlen sich schon die Glasplatten-Fetischisten bestätigt. Da schreibt ihnen einer das Manifest in goldenen Buchstaben auf das Abdecktuch. Wer mit begrenzten Mitteln an entlegenen Orten die Technik der Vorväter nachahmt, um dieselben grandiosen Aufnahmen wie Burton Holmes oder Albert Kahn zu erzielen – August Sander mit seinen »Deutschen Landschaften« hätte auch noch gepasst – der tut nichts anderes, als sich in einer Illusion von Sicherheit zu wiegen. Man kann auch in eine Digitalkamera ein so kleines Speichermedium einlegen, dass nur 12 Aufnahmen darauf passen und man muss ebenso vorsichtig und aufmerksam zu Werke gehen, wie der Bediener ein Fachkamera. Platz im Gepäck für ein Balgengerät für Kleinbildobjektive ist allemal. Wer will, kann sogar eine Linse aus einem Vergrößerungsapparat vorsetzen und mit den Plattenkameras konkurrieren.

Das grande finale fand schon unterwegs statt, bzw. kann ich für eine Art »management summary« noch einmal knapp zusammenfassen: Wenn man nicht weiß, welche Bilder man machen will, ist keine Kamera die richtige. Das ist eine plumpe Abwandlung des griechischen Sprichwortes: Wenn man nicht weiß, in welchen Hafen man will, ist kein Wind der richtige. Das richtige Bild entsteht nun nicht allein im Kopf und seine Herstellung ist nicht nur durch einen Mangel an ökonomischem Kapital eingeschränkt. Wenn noch nicht einmal die Auflösung klar ist, bzw. das Publikum zwischen Ausbelichtungen von 3, 5 oder 50 Megapixel unterscheiden kann, dann gehört man noch zu den Amateuren.

Die Kritiker fordern mich nun auf, mich selbst einzuordnen oder beziehen sich auf Bilder dieser Seite und beweisen damit, ich sei selbst ein Amateur – Recht haben sie. Zur Zeit als die Aufnahmen entstanden war es mir nicht anders zu arbeiten erlaubt. Helmut Newton klassifizierte schon die ersten 10.000 Aufnahmen als die schlechtesten. Aber machen muss man sie und die Kritik ertragen. Es genügt folglich nicht, eine technische Apparatur kaufen oder das Prinzip der Umwandlung von Licht in Daten erläutern zu können. So schließe ich mit Walter Benjamins Aura-Begriff und Marx' Fetischwert einer Ware: Andreas Gurskys Rhein II ist nicht aufgrund des Preises auch das beste Foto der Welt oder hat es umgekehrt verdient, so teuer bezahlt worden zu sein. Der Käufer hatte einfach nicht genügend kulturelles Kapital, diesen Schnappschuss zu bewerkstelligen.

    bibliography
  1. pblogDavid Pogues Blog
  2. particleDavid Pogues Folgeartikel in der NY Times